Der Krieger und die Liebe


Der Krieger und die Liebe sahen sich an und kannten sich nicht. Der Krieger schien verzaubert. Er wollte die Liebe in seine Gewalt bringen. Koste es, was es wolle. Die Liebe ließ es geschehen. Denn bei Kriegern hilft kein betteln und kein flehen. Als er sie hatte, warf er sie weg. Er sah sie sich von Ferne an. Die Verzauberung blieb. Aber er hatte Angst. Denn die Liebe verzaubert wirklich. Sie hat die Macht aus einem Krieger einen Liebenden zu machen.

So blieb der Krieger auf Distanz, wohl bedacht, dass die Liebe ihm nicht zu nahe kam. Er hatte Angst vor ihr, denn sie schien viel größer zu sein als er. Sie schien Macht haben zu wollen über ihn. 

„Keiner hat Macht über den Krieger,“ dachte er. „Auch die Liebe nicht.“ 

„Auch die Liebe nicht?“ fragte er sich zugleich.

„Liebe will keine Macht über dich haben!“ flüsterte die Liebe. „Sie liebt dich.“

„Aber dadurch hat sie Macht über mich,“ antwortete der Krieger.

„Mag sein,“ schmunzelte die Liebe. „Aber nur bis du dich ihr hingibst.“

„Das ist ein Trick,“ fauchte der Krieger. „Darauf falle ich nicht herein.“

Die Liebe liebte einfach weiter, denn es ist ihre Natur. Sie liebte auch die Angst. Sie liebte auch den Krieger mit seiner Angst.

Der Krieger zog wieder in seinen Krieg, damit er sich nicht länger mit der Liebe beschäftigen musste. Doch die Liebe blieb an seiner Seite. Sie reichte ihm Wasser, wenn er durstig war. Sie behandelte seine Wunden, wenn er blutete. Sie streichelte ihm den Kopf, wenn er nicht schlafen konnte. Sie liebte.

Er wollte sie loswerden. Sie schien ihm die Kraft zu nehmen. Aber die Liebe blieb. Denn wenn die Liebe einmal in ein Herz eingezogen ist, dann bleibt sie für immer und ewig. 

Der Krieger wusste, dass er sich selbst umbringen müsste, um die Liebe zu beseitigen, um sie loszuwerden. „Oder um die Angst in deinem Herzen loszuwerden?“ flüsterte die Liebe. „Nur weißt du, die Angst und ich, wir verstehen uns sehr gut. Wir können ohne einander nicht leben und wir schützen dich beide. So lange wir zusammenarbeiten, wirst du dich niemals umbringen, denn dafür liebe ich dich zu sehr und davor hast du zu große Angst.“

Der Krieger verzweifelte. Er kam von der Schlacht nach Hause und weinte. „Wie soll ich kämpfen, wenn die Liebe in mein Herz eingezogen ist? Wie soll ich da noch kämpfen?“

„Du kämpfst doch die ganze Zeit,“ flüsterte die Liebe. „Du kämpfst gegen mich, die Liebe in deinem Herzen.“

„Das schmerzt mich so sehr,“ schrie der Krieger. „Das tut mir so weh,“ weinte er.

Die Liebe sah die Angst an: „Es scheint an der Zeit zu sein, dich zu verwandeln.“ Die Angst dachte einen Moment nach. Doch die liebenden Augen der Liebe verrieten ihr, dass es kein Trick war. 

Die Angst ging aus dem Herzen des Kriegers hinaus, lief einmal um ihn herum und sammelte alle Sicherheitsvorkehrungen ein. Alle Gewehre, alle Messer, alles, was sie zu brauchen schien. Sie warf, was sie gefunden hatte auf einen großen Haufen und verbrannte alles, was sie hervorgebracht hatte. 

Der Krieger in dessen Herzen nur noch die Liebe wohnte, sah mit liebenden Augen seiner Angst zu. „Du wolltest nicht, dass andere sich vor mir schützen müssen,“ sagte der Krieger. Die Angst nickte erleichtert. „Komm her,“ sagte der Krieger. Er umarmte die Angst und ließ sie wieder in sein Herz einziehen. Die Liebe und die Angst freuten sich über ihr Wiedersehen. 

„Von jetzt ab,“ sagte die Liebe, „werden wir besser zusammenarbeiten können.“ 

Der Krieger legte seine Rüstung ab und fühlte sich plötzlich ganz klein. Ganz rein und klein. Aber irgendwie erleichtert. Er fühlte sich wie er sich als kleines Kind gefühlt hatte. Neugierig auf die Welt. Und nichts und niemand würde ihn davon abhalten, sie zu erkunden. Seine Freundin, die Liebe, würde ihn führen und ihm die Schönheit der Welt zeigen. Und seine Freundin, die Angst, würde ihn warnen, wenn sein Herz in Gefahr wäre, wenn jemand käme, der es nicht gut mit ihm meint. 

Eines Tages war es so weit. Ihm gegenüber stand ein Krieger, der ihn finster ansah und mit ihm kämpfen wollte. „Hab keine Angst vor mir. Hab Angst vor dir selber,“ sagte der Liebende zum Krieger.

„Pah,“ machte dieser. „Komm her, auf dass ich dich in Stücke reißen kann.“ 

„Das kannst du gerne machen,“ erwiderte der Liebende. „Doch die Angst wird bleiben. Es gibt so vieles auf der Welt, wovor du Angst hast und immer haben wirst, auch wenn du mich in Stücke reißt. Denn du wirst es nie schaffen alle zu zerreißen, die dir Angst machen. Von mir geht keine Gefahr aus, denn ich liebe dich.“

„Ein Klugscheißer,“ raunte der Krieger. „Hör mir gut zu. Dieses eine Mal lasse ich dich am Leben. Aber sei gewarnt. Wenn wir uns noch einmal begegnen, dann reiße ich dich in Stücke.“

Eine Woche später trafen sie sich wieder. Der Krieger lag auf dem Boden, schwer verwundet und kurz vor dem Sterben. Der Liebende ging zu ihm und öffnete seine Rüstung. „Willst du mich umbringen?“ schrie der Krieger mit letzter Kraft, denn er erkannte den Liebenden nicht wieder. Seine Augen waren wie im Wahn. 

Der Liebende ließ sich nicht stören. Er versorgte die Wunden des Kriegers und blieb bei ihm, bis er wieder gesund war. Die Angst des Kriegers beobachtete den Liebenden. „Warum hast du das getan?“ fragte der Krieger, der ihn jetzt wieder erkannte. „Warum hast du mich gerettet? Ich habe gesagt, dass ich dich in Stücke reißen werde, wenn wir uns wieder sehen und jetzt muss ich es tun, weil du mich wieder gesund gepflegt hast. Ein Krieger muss immer zu seinem Wort stehen, sonst ist er kein Krieger mehr.“

„Vielleicht bist du kein Krieger mehr,“ sagte da der Liebende. „Vielleicht hat sich deine Angst gewandelt wie meine. Sie ist nicht dazu da, um mich auf andere zu hetzen. Sie will mich nur schützen. Auch ich war einst ein Krieger wie du.“

„Ich bringe andere nur um, um mich zu schützen,“ sagte der Krieger. 

„Das brauchst du nicht,“ entgegnete der Liebende. „Wenn du denjenigen, der dich umbringen möchte mit liebenden Augen ansiehst, dann kann er mit dir machen, was er will. Du wirst ihn verstehen und weiter lieben. Du wirst ihn lieben dafür, dass er dich umbringen will und du wirst die Welt um Verzeihung bitten für alle, die du umgebracht hast.“

„Aber das ändert doch nichts,“ schrie der Krieger in seiner Verzweiflung. „Es ist zu spät. Zu viele habe ich getötet. Das ist unverzeihlich. Ich bin ein schlechter Mensch.“

„Jeder ist ein schlechter Mensch,“ antwortete der Liebende. „Jeder ist auch ein guter. Hab keine Angst. Ich liebe dich.“

Der Krieger sank in die Arme des Liebenden und weinte bitterlich. Er beweinte alle, denen er Leid angetan hatte und sein Herz war bewegt von allen, die ihm nur Gutes gewollt hatten in seinem Leben. Seine Angst ging zur Vordertüre seines Herzens hinaus, sammelte alle seine Waffen ein und verbrannte sie. Der Krieger sah ihr mit den Augen der Liebe zu. Er umarmte seine Angst, dankte ihr und nahm sie wieder zu sich in sein Herz. 

Die Liebe und die Angst in seinem Herzen vereinten sich und zum ersten Mal verstand der Krieger was Mut bedeutet: Mut bedeutet zu lieben. Der wahrhaft Mutige ist immer erfüllt von Liebe.

 

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