Zwei Tauben
Als ich schwanger war, hat in der Eibe vor unserem Fenster eine Ringeltaube genistet. Doch eines Tages war das Nest leer und alles voller Blut. Das ist mir ordentlich in die Glieder gefahren. So hatten also die Tauben auch ihre Brut verloren. Wir wussten zu dieser Zeit schon, dass unser Kindchen früher oder später sterben würde.
Nach Timons Geburt und Tod kamen plötzlich auch die Tauben wieder. Vor allem eine Taube saß täglich auf dem Balkon der Nachbarin und schaute dorthin, wo noch die Überreste ihres Nestes waren. Manchmal kamen sie auch zu zweit, kuschelten sich ananeinander und trauerten miteinander so wie wir. Noch nie zuvor habe ich in meinem Leben eine derartige Naturresonnanzerfahrung gemacht. Niemals habe ich überhaupt ein Tier derart heftig und über einen langen Zeitraum hinweg trauern sehen.
Wir verdächtigten die Elster, die Taubenbabys gemeuchelt zu haben. Sie nistete in der Eibe gegenüber.
Im Jahr darauf baute sich die Elster ein Nest in unserer Eibe, ganz nah an unserem Balkon, aber ein Stockwerk höher als die Tauben. Und obwohl wir sehr sauer auf diese Räuberin waren, haben wir gedacht, man kann niemanden wegjagen, der sich ein Nest baut und ließen sie gewähren. Es kam aber nicht dazu, dass sie dort gebrütet hätte, weil die Wohnung direkt über uns monatelang hinweg sehr lärmintensiv renoviert wurde. So verließ die Elster ihr Nest. Ein leeres Nest blieb zurück.
Im gleichen Jahr verlor ich ein Windei in der achten Woche. Auch mit der Elster entstand so Verbindung und die tiefe Wahrheit, dass es in der Natur keine Fehler gibt, keine Schuld und keinen, der wichtiger ist als ein anderer.
In diesem Jahr nun brütet die Taube im Nest der Elster. Ist das nicht verrückt? Vor einigen Tagen kamen die Gärtner und holzten große Teile der Eibe ab. Wir waren völlig außer uns. "Da nistet ein Vogel", sagte George zu den Gärtnern. "Ja, das haben wir gesehen", antworteten sie und sägten munter weiter. Sie sägten alles ab bis auf den mittleren dünnen Stamm auf welchem die Taube im Nest saß. Der ganze Baum wackelte und alle Raubvögel haben nun freien Zugriff auf das Nest der Taube. Aber die Taube lässt sich nicht unterkriegen. Gut so. Die Nebelkrähe, die gestern da war, wurde von der tapferen Taubenmutter mit ihrem Flügel so heftig veprügelt bis sie wieder wegflog.
Heute früh nun habe ich ganz klar gesehen, dass die Taubenmutter zwei Junge hat. In den letzten Tagen hatte ich schon Bewegung im Nest wahrgenommen, aber ich war mir nicht ganz sicher. Heute haben die Kleinen kräftig ihre Hälse gereckt.
Und die Elster ist auch wieder da und fliegt im Hof ihre Runden. In der Eibe gegenüber kann sie allerdings nicht mehr nisten. Sie wurde so sehr abgeholzt, dass nichts mehr übrig ist, was einem Nest Schutz böte.
2017 haben ich folgenden Text geschrieben als Hommage an die Tauben und das Schicksal, das wir mit ihnen teilen:
Zwei Tauben
sitzen
vor unserem Fenster
sie bauen sich
ein Nest
zwei Tauben
doch eines Tages
werden sie beraubt
nur noch Blut
nur noch Leere
ist der Rest
zwei Tauben
sie kommen täglich
immer wieder
sie blicken zu ihrem Heim
das einmal da war
nun nicht mehr ist
und fühlen sich allein
zwei Tauben
sie sind wie wir
sie trauern sehr
um ihre kleine Brut
aber das Nestchen
es bleibt leer
übrig ist nur die Wut
zwei Tauben
so geht das hin
so geht das fort
die Zeit sie geht ins Land
und heute stehen wir fassungslos
schau’n auf dein Grab gebannt
zwei Tauben
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