Der kosmische Klang
Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Timon. Er liebte die Welt und die Wälder. Die Bäume erinnerten ihn an sich selbst, denn er war stumm. Er konnte nicht reden und wurde deshalb von vielen ausgelacht. Die Bäume lachten ihn nicht aus. Sie waren ihm ähnlich. Mit ihnen konnte er sich austauschen. Die Bäume schoben ihn voran in seiner Entwicklung. Oft saß er stundenlang vor einem Baum, schaute ihn nur an und lud sich dadurch mit Kraft auf. So wuchs Timon immer weiter und weiter. Weil er sich die ganze Zeit in Wäldern aufhielt, war ihm nicht aufgefallen, dass er genauso groß geworden war wie die höchsten Bäume im Wald. Groß und stark. Stark wie ein Baum. Die Vögel nisteten in seinen Haaren und das kitzelte ihn. Er liebte dieses Kitzeln. Die Schmetterlinge ließen sich auf seinen starken Armen nieder und er liebte auch das. Denn sie erzählten ihm Geschichten aus der ganzen Welt. Eigentlich wäre er für sein Leben gern in diesen Wäldern geblieben. Aber eines Tages fühlte er, dass er weiter musste. Dass er woanders gebraucht würde. Er verabschiedete sich also von seinen Freunden im Wald, von den Bäumen und Schmetterlingen. Die kleinen Vögelchen waren inzwischen flügge geworden, aber er behielt die Nester als Kopfschmuck. Und so ging er los. Es fiel ihm erst schwer. Aber dann war es ihm plötzlich leicht und immer leichter. Er verlor den Boden unter den Füßen und schwebte plötzlich. „Ich kann fliegen!“, bemerkte er und flog mit seinen Freunden, den Vögeln durch die Lüfte. Immer weiter nach oben. Durch die Wolken hindurch und immer weiter ins Firmament zu den Sternen hin. Er sah einen kleinen Stern. Zu dem zog es ihn. Er flog und flog und beinahe hätten ihn die Kräfte verlassen. Aber dieser kleine Stern gab ihm Mut. Dort wollte er unbedingt hin und koste es sein Leben, dachte er. Und er schaffte es zu seinem Stern. Er wurde müde und schlief ein. So erschöpft war er von der langen Reise.
Rund um ihn herum war es dunkel als er aufwachte. Aber sein Stern leuchtete so sehr, dass es um ihn herum gleichzeitig hell war. Er richtete sich auf und ließ die Beine baumeln, wie kleine Jungs das gerne machen. Der Stern liebte ihn, das merkte er. Und er liebte den Stern. Als ob er nie in seinem Leben woanders gewesen wäre. Als ob er nie woanders gelebt hätte. Der Stern und er, sie gehörten zusammen. Das wusste er. Er schaute um sich herum und sah im Dunkeln ganz viele Sterne leuchten. Und überall saßen andere und winkten ihm zu. Jeder Stern leuchtete auf eine andere Art und jeder, der darauf saß, winkte auf eine andere Weise. Und plötzlich konnte er hören, dass alle, die mit den Beinen baumelten und winkten, einen ganz eigenen Klang produzierten, und alles zusammen eine wundervolle Melodie ergab. Es klang wunderschön. Als er das hörte, begann er zu singen mit einer ganz hellen klaren Stimme. Er sang und sang und wollte gar nicht mehr aufhören. Alle blickten mit bewundernden Augen zu ihm und winkten noch doller und baumelten noch kräftiger mit den Beinen, so dass die Musik immer schöner und immer voller wurde. Je voller die Musik wurde, umso heller leuchtete erst sein Stern und dann all die anderen. Das Firmament wurde auch immer heller als ob sich eine Wolke aus Licht erhöbe und sich sammelte und langsam zur Erde schwebte von wo er, Timon, gekommen war. Die Wolke legte sich um die Erde herum, diese Klangwolke. Die Klänge klangen um die Erde herum in die Erde hinein. Von oben konnte Timon sehen, was die Klangwolke bewirkte. Vulkane brachen aus und spien Feuer. Die Erde bebte an manchen Stellen. An anderen Stellen wiederum regnete es ohne Unterlass, so dass die halbe Welt schier in den Fluten zu versinken schien. Es gab heftige Stürme und Unwetter. Seine Freunde, die Bäume, schienen sich darüber zu freuen. Sie beugten sich mehr in den Wind als je zuvor. Sie warfen ihre Äste hin und her und die Klangwolke wurde daraufhin noch besser verteilt und in die Welt hinein gezogen. Die Bäume und die Winde und der Regen sorgten dafür, dass die Klangwolke überall gut verteilt wurde und durch die Erdbeben und die Vulkane wurde die Klangwolke tief in die Erde hinein gezogen. Timon sah das alles und es war ein wildes Schauspiel. Aber er wusste, dass es gut war. Die Menschen wirkten von hier oben so klein. Auch diejenigen, die für ihn früher so groß waren und ihn ausgelacht hatten wirkten sehr klein und schienen hilflos. Timon hatte Mitgefühl mit ihnen und wollte ihnen sagen, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Dass alles gut ist. Er baute alles, was er den Menschen sagen wollte in seinen Gesang ein und ließ seine Botschaften mit den Klangwolken auf die Erde schweben. Immer neue Klangwolken produzierte er mit seinen Sternenfreunden. Die Menschen fingen plötzlich an miteinander zu arbeiten statt gegeneinander. Sie begannen einander zu helfen anstatt sich zu bekämpfen. Sie trösteten sich gegenseitig. Wer etwas zu essen hatte, teilte es. Wer groß und stark war, nahm die Kleinen und Schwachen unter seine Fittiche. Wer sich mit einer Sache besonders gut auskannte gab sein Wissen weiter, anstatt es für sich zu behalten. Jeder Mensch machte das, was er besonders gut konnte, um damit alle zu bereichern. Die anderen beneideten ihn nicht darum, weil sie ebenfalls das machten, was sie besonders gut konnten und damit die Welt bereicherten. Es gab jedoch manche, die sich damit schwer taten. Sie wussten nicht genau, was sie am Besten konnten. Sie trauten sich nicht, das umzusetzen, was sie am liebsten taten. Weil sie wie Timon als er klein war, Angst hatten, ausgelacht zu werden. Nicht gemocht zu werden. Und auch wenn sie gar niemand auslachte und auch wenn alle sie anfeuerten und unterstützten, damit sie ihr Talent und ihre Fähigkeiten entdecken konnten, sie konnten nicht und sie wollten nicht, denn sie hatten Angst. Bist du auch einer von denen, die Angst haben? Dann hör den Klängen weiter zu. Mit den Ohren wirst du die Klangwolke nicht hören können, denn es ist kosmischer Gesang und kosmischer Klang. Nur dein Herz wird ihn vernehmen. Und eines Tages wirst du wissen, was dein Talent ist. Eines Tages wirst du wissen, was du am meisten liebst und du wirst keine Angst mehr haben. Du wirst nicht mehr grübeln und nicht mehr zweifeln, sondern einfach loslegen. So wie Timon als er plötzlich wusste, dass er losgehen musste und feststellte, dass er fliegen konnte und singen, obwohl er stumm war. So ist das mit den Talenten. Sie entfalten sich wenn man losgeht. Dann weißt du, was Timon dir für eine Botschaft schickt. Erzähl sie weiter. Erzähl sie allen deinen Freunden. Sing sie ihnen vor. Male ein Bild davon. So trägst du seine Botschaft in die Welt und er singt nicht umsonst. Denn Timon singt bis heute. Er hat seit damals nicht mehr aufgehört und er wird noch lange singen. Vergiss nicht. Er ist groß und stark wie ein Baum.