Der ansteckende Tod

 


Seltsam, schon wieder habe ich einen Text aus dem letzten Jahr ausgegraben. Ich kann mir dieses übersehen von Texten nur damit erklären, dass ich Texte nachdem ich sie geschrieben habe, gerne ersteinmal liegen lasse, ein paar Nächte darüber schlafe, um dann auf sie zurückzukommen und sie nochmals zu überarbeiten. Folgenden Text habe ich scheinbar kurz vor Weihnachten geschrieben, da war vielleicht anderes wichtiger als das überarbeiten. Vielleicht wollte ich mich auch nicht überarbeiten. Flaches Wortspiel gleich zu Beginn, das kann ja heiter werden. Also lest selbst, bevor ich noch allzu spaßig werde: 

 

21.12.2021

In der Bundespressekonferenz sagte Steffen Seibert vor kurzem, dass alles getan würde, um die Menschen vor dem Tod zu schützen.

Dieser Satz ist mir bis heute seltsam im Kopf hängen geblieben. Denn in einer Gesellschaft in welcher alles getan wird, um Menschen vor dem Tod zu schützen, bleibt vom Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr viel übrig. Eltern machen alles, um ihre Kinder vor dem Tod zu schützen, logisch, aber die wirklich aufregenden Dinge erleben Kinder meist dann, wenn die Eltern nicht unbedingt in der Nähe sind, um sie vor dem Tod zu schützen, sondern dann, wenn sie ihren Impulsen folgen auf viel zu hohe Bäume zu klettern, hinter ihrem Ball her über viel zu befahrene Strassen laufen, unglaubliche Mengen von möglichst unverdaubarem Zeug in sich hineinzustopfen...etc. Alle diese Erfahrung haben, wenn sie denn überlebt werden, eines gemeinsam: das Kind ist gereift, es hat am eigenen Leibe erfahren, was gut für es ist und was nicht.

Und um Himmels Willen möchte ich nun niemandem raten sein Kind, damit es diese Erfahrung machen kann, alleine über viel befahrene Strassen laufen zu lassen. Dieses Beispiel dient nur dazu zu veranschaulichen, in welchen Momenten Leben intensiv erfahren wird, wann wir uns weiterentwickeln. Und ja: auch Krankheit und auch Überwindung von Krankheit gehört dazu. Das ist Teil der Entwicklung.

Wenn eine Gesellschaft sich zum Ziel macht, alle Menschen vor dem Tod zu schützen, dann hat das eine sehr weitreichende Konsequenz. Das heißt nämlich, dass alles was eventuell gefährlich sein könnte, ab sofort verboten werden oder unter Strafe gestellt werden müsste – zumindest alles was verhinderbar ist. Und da geht nun die eigentliche Frage los: was ist verhinderbar? Kann man verhindern, dass es keine Verkehrstoten mehr gibt, wenn alle nur 30 km/h fahren? Oder könnte es doch auch dann noch ein Kind geben, dass hinter seinem Ball herläuft und für das auch ein Wagen mit 30km/h zu schnell ist, weshalb man auf das Autofahren grundsätzlich zu verzichten hat in Zukunft? Es gibt Signale und Schranken, die auch mal ausfallen, wodurch bereits viele Menschen zu Tode gekommen sind. Heißt das nun, dass in Zukunft auch niemand mehr Zug fahren darf? Grade bin ich über eine Schnellstraße gefahren auf der ungewöhnlich viele überfahrene Tiere lagen...achso nein, von Tieren war ja nicht die Rede, es ging ja nur um die Menschen, die man vor dem Tod beschützen wollte...

Was ist mit dem Menschen, der bei seiner Arbeit mit der Motorsäge ausrutscht und sich dadurch so schwer verletzt, dass er daran stirbt? Was ist mit dem, der mit dem Messer abrutscht und sich aus Versehen die Pulsadern aufschneidet? Was ist mit den Menschen, die Baumfällarbeiten machen und dabei zu Tode kommen? Was ist mit Menschen, die aus Versehen die falschen Medikamente nehmen? Was ist mit Menschen, die an den Folgen der enormen Mengen an Spritzmitteln sterben? Was ist mit den Menschen, die beim Fensterputzen aus dem Fenster fallen? Was ist mit den Menschen, die zu viel Alkohol trinken? Was ist mit den Menschen, die bei einer Wassersportart ertrinken?

Jaja, werden sie jetzt sagen, das sind ja alles Sachen, bei denen die Menschen selbstverantwortlich handeln und daher auch das Risiko selbst eingehen.

Also gut: was ist mit dem Beifahrer, der zu Tode kommt, was ist mit den Insassen des Flugzeuges, das abstürzt, was ist mit den Menschen, die einer Havarie zum Opfer fallen? Was ist mit Menschen, die aufgrund von ärztlichen Kunstfehlern versterben? Was ist mit Menschen, die aufgrund einer Unverträglichkeit von Medikamenten oder Impfstoffen sterben? Was ist mit Menschen, die bei einer Naturkatastrophe ums Leben kommen? Wer schützt sie vor dem Tod?

Das ist natürlich in höchstem Maße populistisch, was ich hier schreibe und ich bin mir dessen bewusst. Natürlich werden Regeln nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Das wissen wir alle. Die Frage, die ich mir stelle ist: ist es nicht eine Sisyphusarbeit, wenn eine Gesellschaft sich zum erklärten Ziel macht, die Menschen vor dem Tod zu schützen, anstatt sich damit anzufreunden, dass wir alle sterben werden eines Tages. Alle. Ausnahmslos. 

In dem Moment da das Bewusstsein darüber wieder ganz klar ist, ist das Leben prinzipiell ein anderes. Vielleicht nehmen wir dann auch den Tod wieder ins Herz, sehen ihn als das, was er ist: Ein Tor der Seele in eine andere Bewusstseinsebene.

 

21.12.2021

 

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